Claudia liest Kiley Reid

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Es ist ungemein erhellend, mal die Perspektive zu wechseln. Darum empfehle ich hier in unregelmäßiger Reihenfolge, komplett subjektiv, Romane von Autor*innen of Color, die ich spannend finde.

Kiley Reid: „Such a Fun Age“, Ullstein, 2021, 352 Seiten | gebunden

ISBN: 9783550201240, Preis: 22,00 Euro

Jetzt ist der amerikanische Bestseller auch auf Deutsch erschienen, und wer noch Ferienlektüre sucht: Hier ist sie!

Emira ist schwarz, fast 26, weiß noch nicht, was sie mit ihrem Leben will, und arbeitet deshalb nach ihrem College-Abschluss als Kindermädchen. Ihre Arbeitgeberin ist Alix, weiß, erfolgreiche Influencerin unter dem Hashtag #LetHerSpeak, verheiratet mit einem Fernsehjournalisten, dem gerade in einer Sendung ein leise rassistischer Satz herausgerutscht ist.

Der Roman setzt ein mit einer irrwitzigen Szene: Alix ruft Emira spätabends an, weil jemand ihnen ein Fenster eingeworfen hat. Damit ihre kleine Tochter Briar vom Anblick der gerufenen Polizisten nicht traumatisiert wird, soll Emira mit ihr einfach zum schicken Lebensmittelladen um die Ecke gehen. Emira, aufgebrezelt, weil sie von einer Geburtstagsparty kommt, wird vom Ladendetektiv angehalten, der glaubt, sie habe das weiße Mädchen entführt. Die Szene eskaliert, ein Zuschauer filmt das Ganze auf dem Handy, und erst der schnell herbeigerufene Vater kann Schlimmeres verhindern.

Gleich am Anfang zeigt sich, was Kiley Reids Roman ausmacht: der Irrwitz, mit dem sich im Alltag Abgründe auftun, das Augenmerk auf Rassismus, ökonomische Ungleichheit und das immer wieder scheiternde Bemühen weißer Amerikaner, bloß nicht rassistisch zu wirken.

Denn Alix ist das Ganze unendlich peinlich. Sie möchte auf keinen Fall eine Rassistin sein oder dafür gehalten werden und sucht darum Emiras Freundschaft. Emira wiederum ist daran nicht interessiert; ihre Aufmerksamkeit gilt der Beziehung zu ihrem weißen Freund Kelley und der Frage, ob er schwarze Frauen fetischisiert. Und sie liebt die schwierige kleine Briar, die von ihrer Mutter abgelehnt wird.

Reids Roman wechselt die Perspektive zwischen Alix und Emira, das erhöht den Peinlichkeitsfaktor. Aus Emiras Perspektive wird sichtbar, wie prekär das Leben für Menschen ohne Festanstellung ist. Und in Alix‘ wohlwollend übergriffiger Art wird immer wieder deutlich, was es bedeutet, wenn man sich den eigenen Rassismus einfach nicht eingestehen will.

Das Augenöffnen für schmerzliche Wahrheiten betreibt Reid mit einer Lust, die Peinlichkeit zum poetischen Prinzip erhebt. Man möchte sich vor Fremdscham krümmen angesichts von Taten und Äußerungen, die so komisch wie furchtbar sind, weil jedes Mal ein Mensch sich blamiert, indem er einen anderen verletzt.

Der Roman arbeitet mit turbulenten Verwicklungen und messerscharf beobachteten Interaktionen. Das Ganze ist eine ebenso witzige wie bitterböse Gesellschaftssatire. Höchst unterhaltsam und dabei sehr erhellend!

Kiley Reid ist eine Schwarze US-amerikanische Schriftstellerin, Such a Fun Age ist ihr erstes Buch.