Dies ist eine Predigt, die von Rev. Lusungu Mbilinyi als Teil des BIPoC-Gottesdienstes gehalten wurde, der von verschiedenen in Deutschland lebenden BIPoCs organisiert wurde. Um den ganzen Gottesdienst zu sehen, besuchen Sie den folgenden Link: https://www.youtube.com/watch?v=Va5gtj1lB40
Hiob 19:25
Ich saß irgendwo in einem Park in einer relativ armen Gegend und beobachtete spielende Kinder. Die Kinder waren zwischen fünf und sieben Jahre alt. Eines der Kinder sah anders aus, es kam definitiv nicht aus einer armen Familie, es hatte ein teures Fahrrad und trug teure Kleidung. Die anderen Kinder durften abwechselnd mit seinem Fahrrad fahren und schienen es sehr zu genießen. Der reiche Junge war großzügig genug, ihnen zu erlauben, sein Fahrrad zu benutzen. Aber dann stellte er eine ziemlich peinliche Frage: Warum kaufen Eure Eltern nicht auch schöne Fahrräder für Euch? Eines der Kinder sagte, dass seine Mutter ihm sagte, dass sie sich kein Fahrrad für ihn leisten könne, weil es zu teuer sei und sie kein Geld hätten. Der Junge rief alle armen Kinder zu ihm und sagte ihnen: „Ich verrate Euch ein Geheimnis“ und senkte seine Stimme „manchmal wird mein Vater auch knapp an Geld, aber wenn er kein Geld mehr hat, geht er in die Stadt, und dort in der Stadt gibt es diese Geldautomaten, dort geht er hin und nimmt Geld. Ihr könnt Euren Eltern sagen, dass sie das auch tun sollen, diese Automaten haben eine Menge Geld, sie gehen nie leer aus. Dann können es sich deine Eltern leisten, Euch schöne Fahrräder zu kaufen.“
So naiv es klingt, die Worte des Jungen spiegeln mindestens drei Realitäten der Privilegierten wider und dort, wo die Privilegien in ihr Familienerbe eingebettet sind, sieht man das schon im zarten Alter:
1. Wir neigen dazu, die privilegierten Positionen, in denen wir uns befinden, für Normalität zu halten.
2. Wir neigen dazu, zu denken, dass die weniger Privilegierten unter uns weniger privilegiert sind, weil sie etwas falsch machen, ein bestimmtes Wissen nicht haben.
3. Wir neigen dazu zu glauben, dass wir die Lösung für alle Probleme der weniger Privilegierten kennen.
In unserer heutigen Lesung sehen wir die Worte von Hiob. Er gehörte zu den Privilegierten in der Gesellschaft; ich bin nicht sicher, was er über die weniger Privilegierten dachte, aber wir wissen, was seine privilegierten Freunde über die weniger Privilegierten dachten. Wir wissen dies aus den Vorträgen, welche die Freunde Hiob gaben, so zu lesen im Buch Hiob. Hiob bekam diese Vorträge, weil er sich über Nacht von dem reichen und privilegierten Mann, der er war, zu einem absoluten Unberührbaren wandelte, so dass sogar seine eigene Frau wünschte, dass er einfach stirbt! So wie das Kind, das ich beobachtete, die Lösung für das Armutsproblem der Kinder, mit denen es spielte, kannte, kannte auch Hiobs Freund die Lösung für Hiobs Misere. Er muss etwas gegen Gott getan haben, wie all die anderen armen Menschen, und er muss Buße tun und alles wird wieder gut! In der Vorstellung von Hiobs Freunden sind alle armen Menschen nur deshalb arm, weil sie Gott nicht so dienen, wie sie sollten, sie haben gegen Gott gesündigt!
Wie oft haben wir aus unserer Position des Privilegs auch theoretisiert und die Lösungen für die Probleme der Menschen zu sehr vereinfacht? Wie oft haben wir Menschen zum Geldautomaten geschickt, obwohl sie noch nicht einmal ein Konto oder eine Bankomatkarte haben?
In seiner neuen Position als weniger Privilegierter in der Gesellschaft sieht Hiob die Dinge nun aus einem anderen Blickwinkel. Er versteht nun, dass die Dinge komplexer sind als die Sichtweise seiner Freunde, und er versucht, dies seinen Freunden zu erklären. Ich habe einmal irgendwo gelesen, dass es drei Menschen gibt, die sehr schwer zu überzeugen sind, ihre Meinung zu ändern:
1. Eine Person, die sich gerade zum ersten Mal verliebt hat,
2. ein Mitglied einer religiösen Sekte,
3. ein Fan von Armenia Bielefeld.
Bei den ersten beiden bin ich mir nicht sicher, aber für das letzte trifft es zumindest für mich als Armenia Bielefeld-Fan zu, egal ob Sonne oder Regen, ob Sieg oder Niederlage, Bielefeld bleibt das Beste überhaupt!
Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass Hiob diese Liste noch ergänzen würde mit einem Privilegierten, der sich eine Meinung über die weniger Privilegierten in seinem Umfeld angeeignet hat. Wir sehen Hiob Kapitel für Kapitel, wie er versucht, seinen Freunden seine Lage zu erklären, aber sie bestehen darauf, dass Hiob die billige Lösung annimmt, die sie ihm anbieten, nämlich einfach Buße zu tun und alles wird gut werden. Hiob fragt sich immer wieder: Buße wofür?
Wenn Du zu den weniger Privilegierten in der Gesellschaft gehörst, kommt dir die Situation, in der sich Hiob befand, vielleicht allzu bekannt vor! Hiobs Kampf kann deine tägliche Realität sein. Hiob erreicht einen Punkt, an dem er keinen Sinn mehr darin sieht, weiter zu streiten! Vielleicht bist auch du an diesem Punkt angekommen! Aber Hiob gibt nicht auf, er setzt seine Hoffnung auf Gott! Die Verse, die wir gerade gelesen haben, spiegeln Hiobs Hoffnung wider, dass Gott seinen privilegierten Freunden das Gegenteil beweisen wird.
Ich bin eines Tages durch eine Nachbarschaft gegangen, wo ich ein wirklich altes Auto gesehen habe, ohne Reifen, voller Staub, und es sieht aus, als würde es nie wieder fahren! Aber darauf waren folgende Worte geschrieben, vermutlich vom Besitzer: This Car is not abandoned – Dieses Auto ist nicht verlassen! Für mich war Hiob genau wie dieses Auto, er war in einer Situation, in der sogar seine Frau wollte, dass er stirbt, aber Gott hat ihn nicht verlassen. Auch ich habe oft das Gefühl, dass alles, was ich tue, alle Erklärungen, die ich gebe, gegen eine Steinwand stoßen, aber es ist immer wieder tröstlich zu wissen, dass ich auch in solchen Situationen nicht verlassen bin! Mein Erlöser lebt! Ich teile die Hoffnung, die Hiob hatte, dass er sich eines Tages für mich einsetzen wird.
Was ich an der Geschichte liebe, ist, dass sie ein Happy End hat! Gott setzte sich für Hiob ein und die Wahrnehmung seiner privilegierten Freunde erwiesen sich als falsch! In meinem Teenager-Christentum war ich sehr bewegt von dem einfachen, aber sehr praktischen theologischen Denken der WWJD?-Bewegung. What would Jesus do? Was hätte Jesus getan? Diese Frage war die Grundlage für mein Tun als Christ (obwohl ich, um ehrlich zu sein, nicht immer das getan habe, was Jesus tun würde!) Die Idee hinter dieser Frage war, dass meine Augen Gottes Augen sind und den Schmerz sehen sollten, mit dem seine Schöpfung konfrontiert ist, dass meine Ohren seine Ohren sind und den Schrei seines Volkes hören sollten, dass meine Füße seine Füße sind und dorthin gehen sollten, wo Gottes Gegenwart oder sein Eingreifen gebraucht wird, dass meine Hände seine Hände sind und halten, helfen und trösten sollten. Und mein Mund ist sein Mund, er soll Gottes Wort sprechen.
Wenn es um unterprivilegierte Menschen geht, die ständig mit Privilegierten in der Gesellschaft konfrontiert sind, die denken, dass ihre privilegierte Position Normalität ist, die denken, dass weniger privilegierte Menschen weniger privilegiert sind, weil sie etwas falsch machen und die denken, dass sie die Antworten auf alle Probleme haben, mit denen weniger privilegierte Menschen konfrontiert sind. Gott hat uns gezeigt, was er tun würde: Sich für die weniger Privilegierten einsetzen und alle Theorien der Privilegierten als falsch beweisen. Gegen die Institutionen, die andere zu Privilegierten und andere zu weniger Privilegierten machen, zu kämpfen und diese herauszufordern, damit alle den gleichen Zugang zum Fortschritt haben.
Möge Gott uns helfen, nicht das privilegierte Individuum zu sein, das seine Realität auferlegt und behauptet, Lösungen für die weniger Privilegierten zu kennen. Möge er uns helfen, seine Augen zu sein, um zu sehen, wo die Struktur der Gesellschaft für einen Teil der Gesellschaft ungünstig ist. Seine Ohren zu sein, um die Schreie des Teils der Gesellschaft zu hören, der unter verschiedenen Formen der Segregation leidet. Um seine Füße zu sein, dorthin zu gehen, wo Gott eingreifen muss. Seine Hände zu sein, um die Segregierten zu halten und eine integrativere, liebevollere und akzeptierendere Gesellschaft aufzubauen.