Predigt zu Gen 1,1-5.26-28 vom 08.05.2022

von Johannes Krug, Vikar in der Ev. Kirchengemeinde Watzenborn-Steinberg (EKHN)

Vor dem Psalmgebet wird dieses Video gezeigt: Hinführung zum Thema Othering/ Rassismuskritik/ weiße Kirche: Ambote Luzolo – Videobeitrag am Himmelfahrtsgottesdienst, Kirchentag FFM 2021
https://www.youtube.com/watch?v=FRJO25elRYY (Min 24:05)

Liebe Gemeinde,

„am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ – das sind die ersten Worte der Bibel in denen uns Gott als Schöpfer:in bereits im ersten Satz vorgestellt wird. Gott erschafft Himmel und Erde, Licht und Dunkelheit, Land und Wasser, Tiere und Menschen. Und uns Menschen schafft sie nicht irgendwie, sondern ganz besonders. In den Worten der Bibel wird gesagt:

„So schuf Gott den Menschen als sein Abbild, ja, als Gottes Ebenbild.“ Der Mensch, am sechsten Tag erschaffen, wird uns als Ebenbild Gottes vorgestellt. Alle Menschen als Ebenbilder Gottes, alle Menschen gleich vor Gott. Die Tiefe, die in dieser Glaubensaussage steht, bin ich immer noch am Begreifen.

Diese Verse haben die Menschen im Alten Israel geprägt, denn während der Text entsteht leiden sie unter der Macht der Babylonier, werden aus ihrer Heimat verschleppt, in der Kriegszustände herrschen. Da werden Menschen zum Spielball für die Macht und ein Menschenleben ist nichts mehr wert– wie furchtbar das ist, können wir gerade im Krieg gegen die Ukraine wahrnehmen. Der Mensch als Gottes Ebenbild, das hat schon damals die Menschen gestärkt, hat ihnen eine unveränderliche Würde zugesprochen, trotz und in allem Leid.

Würde – Menschenwürde – Die Würde des Menschen ist unantastbar. Die Spur, die dieser theologische Gedanke gezogen hat reicht bis heute und prägt auch unsere Gesellschaft grundlegend. 

Das neue Grundgesetz der Bundesrepublik, das nach der Erfahrung der Shoa und des Nationalsozialismus geschrieben wurde, stellt ihn an erste Stelle. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – das sollte einen deutlichen Bruch mit der Menschenverachtung der deutschen Massenbewegung des Faschismus zeigen, ein Bruch mit dem tief verwurzelten Antisemitismus und Rassismus dieser Gesellschaft.

Heute nach 77 Jahren sehen wir leider, dass es immer noch Vorstellungen von Ungleichwertigkeit zwischen Menschen gibt. Wir haben die Menschenfeindlichkeit, die sich auf Gruppen und Völker bezieht nicht überwunden.

Wenn wir aufmerksam sind für die Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft oder Religion Rassismus und Ausgrenzung erfahren, wird das sehr schnell deutlich.

Das zeigt auch die Auftaktstudie Rassismus-Monitor, welche vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde – vielleicht haben Sie in der Tagesschau davon gehört – geben 22% der Menschen in Deutschland an Rassismus erfahren zu haben. Der Anteil unter den Jüngeren ist dabei noch größer.

In den letzten Jahren sind die Stimmen derer sichtbarer geworden, die diese Erfahrung auch innerhalb der Kirche machen. Zu Beginn des Gottesdienstes hörten wir von der Erfahrung von Ambote Luzolo, ich möchte mit ihnen nun von einer weiteren Perspektive hören. Sie stammt von Sarah Vecera, die im letzten Monat dieses Buch veröffentlicht hat: „Wie ist Jesus weiß geworden? Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus“. [Buch zeigen]

Frau Vecera hat Theologie und Pädagogik studiert und arbeitet bei der Vereinten Evangelischen Mission in Wuppertal. Sie bezeichnet sich selbst als Person of Color und Schwarze Deutsche. Manche von Ihnen werde die Begriffe bereits kennen, für andere sind sie vielleicht noch neu und ungewohnt. Es sind selbstgewählte Begriffe von Menschen, die in Deutschland Alltagsrassismus erfahren. Es sind Begriffe, die auf solidarisches Bündnis zielen, um der Erfahrung des Rassismus etwas entgegen zu setzen. Menschen die nicht Rassismus erfahren beschreibt Frau Vecera in diesem Buch als weiße Menschen. Sie benutzt weiß als politische Bezeichnung, sie beschreibt keine Hautfarben. Ich spreche von mir als weiße Person, meine Hautfarbe ist aber ja eher rosa-beige und sie wird rötlich, wenn ich Sport mache oder in Verlegenheit gerate.

Sarah Vecera schreibt:

„Eine Schwarze Mutter ruft im evangelischen Kindergarten an. Ihre dreijährige Tochter soll auf diesen Kindergarten gehen und es steht ein Infoabend für alle neuen Eltern an. Die Mutter fr+agt die Leiterin, ob es ok sei, wenn sie und ihr Mann die Tochter zum Termin mitbringen. Es gäbe ein Betreuungsproblem und niemand anderes kann auf das Kind aufpassen. Die Leiterin des evangelischen Kindergartens holt nun weit aus und erklärt, dass dies leider nicht möglich sei. Sie kenne es ja auch anderen Kulturen, dass Kinder dort die ganze Nacht wach seien, aber hier wäre das nicht erwünscht und sollte vermieden werden.

Ein gut gemeinter Ratschlag, den sie allerdings dem weißen Ehepaar nicht gegeben hatte, das sein Kind zum gleichen Infoabend am nächsten Tag mitbrachte. Die Schwarze Mutter hatte eine Babysitterin organisiert.“

An anderer Stelle beschreibt sie die Erfahrung in einer kirchlichen Sitzung:

„Ich saß schon häufig in kirchlichen Gremien, und mir wurde besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Das war meist sogar nett gemeint, wenn Menschen vor der ganzen Runde sagten, dass ich Farbe in den Raum bringe. Aber ich kann nicht unbemerkt aufs Handy schauen oder mit ungeputzten Schuhen kommen, weil auch dem eine besondere Aufmerksamkeit zu Teil wird. Ich habe dadurch auch eine Rolle zu erfüllen: Die der angepassten „bunten“ Person, die hoffentlich den Erwartungen entspricht.“

Erfahrungen wie diese zeigen, dass rassistische Stereotype und Vorurteile oft ganz subtil wirken, oft sind sie gut gemeint. Sarah Vecera bezieht sich auf die aktuelle Forschung zu Rassismuskritik, die zeigt, dass der Alltagsrassismus im 21. Jahrhundert nicht mehr offen sagt, dass es so etwas wie Menschenrassen gibt. Das ist nach 1945 gesellschaftlich nicht mehr konsensfähig gewesen, Artikel 1 im Grundgesetz ist ein Ausdruck davon. Der Rassismus von heute geht meist den Weg über die „Kultur“. Unterschiede zwischen Menschen werden an einer kulturellen Zugehörigkeit festgemacht, die oft als unveränderlich und komplett verschiedenen von der eigenen angesehen wird.

Ich erinnere mich an eine Situation nach meinem Freiwilligendienst in Costa Rica. Ich traf Menschen, die ebenfalls längere Zeit in Lateinamerika oder Abya Yala, wie es auch genannt wird, gelebt hatten. Im Austausch über unsere Erfahrungen kamen wir schnell auf das Thema Zeit zu sprechen. Ich meinte, dass ja deutlich sei, dass das Zeitgefühl dort ein ganz anderes ist und Leute viel entspannter mit Terminen umgehen würden, als hier in Deutschland. Auf die Rückfrage einer Freundin, ob ich damit nicht zu stark generalisieren würde, meinte ich prompt – ich war bereits in einer Abwehrhaltung – „naja, aber wir haben doch alle dort gelebt, wir müssen doch festhalten, dass das ist dort einfach so ist.“ – Diskussion beendet.

Wenn wir miteinander ins Gespräch kommen – vielleicht nach dem Gottesdienst – können wir uns darüber austauschen, welche Momente ihnen in den Sinn kommen, wenn sie über Vorurteile und Rassismus nachdenken. Wo haben Sie selbst so gesprochen oder vergleichbare Situationen mit an gehört in denen es heißt: in deren Kultur ist das eben so…das ist typisch…die sind doch alle so oder so..

Was wir heute als rassistisch bezeichnen hat sich verändert. Am 8. Mai vor 77 Jahren umfasste Rassismus vor allem das unvorstellbare Grauen des Massenmordes. Aber Rassismus ist nicht nur ein Problem von überzeugten Nationalsozialist:innen oder heute Neonazis, Rassismus beginnt nicht erst bei direkter Gewalt und offensichtlicher Abwertung von Menschen, er prägt uns und unsere Vorstellungswelt schon sehr viel früher.

Rassismus beginnt dort, wo Menschen die Individualität abgesprochen wird, wenn Menschen bestimmte Eigenschaften qua ihrer Herkunft, Religion oder Kultur zugeschrieben werden. Ich musste als weiße Person über einen langen Zeitraum lernen, und ich tue es immer noch, wie dieses Machtverhältnis wirkt. Rassismus macht auch etwas mit meiner eigenen Person, hat meine eigene Biographie geprägt. Diesen Prozess auch persönlich zu zu lassen, sich zu fragen wie man selbst zu einem System weißer Vorherrschaft beiträgt, war irritierend, er stellt die eigene Identität in Frage, er ist schmerzhaft.

Was kann uns hier helfen genug Willensstärke aufzubringen, diese Anfragen nicht zu verdrängen? Was stützt unsere Existenz, wenn die Schatten der Vergangenheit und Gegenwart uns einholen? Was hilft uns die Scham und den Schmerz auszuhalten und langfristig zu verwandeln?

Ich denke, und auch Sarah Vecera geht in ihrem Buch darauf ein, dass Glaubensgemeinschaften, wie in unserem Fall eine evangelische Kirchengemeinde, hier starke Ressourcen mitbringen.

Erstens können wir uns auf starke Bilder der Bibel beziehen, die Gottes Ebenbildlichkeit aus unserem heutigen Predigttext ist ein ganz wichtiges davon.

Zweitens kann unser Glaube an Jesus Christus eine wichtige Stütze sein kann:

Der Glaube, dass wir durch Jesus und sein Wirken die unendliche Liebe Gottes erfahren können. Der Glaube, dass wir uns im Vertrauen auf Gottes Sohn frei machen können von den Lasten des Lebens.

Der Glaube, dass wir angenommen und geliebt sind, so wie wir sind.

In diesem Glauben erfahren wir eine Gnade, die unsere gesamte Existenz wie ein warmer Sonnenstrahl durchdringt.

Die jüdischen und nichtjüdischen Menschen, die im 1. Jahrhundert an den Messias Jesus glaubten, die Menschen aus den paulinischen Gemeinden erfuhren ihren Glauben als neue Schöpfung. Paulus schreibt im zweiten Brief an die Korinther: „Gehört also jemand zu Christus, dann ist er ein neuer Mensch. Was vorher war, ist vergangen, etwas völlig Neues hat begonnen.“ (2 Kor 5,17) [Wochenspruch]

Durch unseren Glauben an Jesus Christus beginnt etwas völlig Neues, wir werden ein neuer Mensch – was für eine große Vision, was für große Worte. Zu große Worte?

Die Bibel in gerechter Sprache übersetzt an dieser Stelle etwas vorsichtiger: „Alle, die mit Christus verbunden sind, sind neu erschaffen. Das Erste ging vorüber, seht: Neues kam zur Welt.“

Ich denke im Kontext einer Gemeinschaft, sei es in Korinth oder heute in unserer Kirchengemeinde bleiben wir mit diesen Worten nicht allein, sie sind kein Ideal, an das wir uns individuell anpassen müssen. Der Weg zum Glauben an Jesus Christus ist ein gemeinsamer, immer wieder neu. Genauso können wir uns auf dem Lernweg von Rassismuskritik und der Frage unseres Weißseins gegenseitig mitnehmen, in Frage stellen, anregen und innehalten.

Sarah Vecera widmet ihr Buch all denen, die in der Kirche Schmerz erfahren mussten, obwohl ihnen das Gegenteil versprochen wurde. Um dieses Versprechen ansatzweise einzulösen und Rassismus innerhalb der Kirchen zu bearbeiten, liegt ein langer Weg vor uns. Paulus würde uns sicherlich Mut zu sprechen und uns jede Veränderung zu trauen, egal wie viele Lebensjahre wir bereits tragen:

„Deshalb verlieren wir nicht den Mut. Wenn auch unser äußerliches Menschsein verfällt, so erneuert sich doch das innere Tag um Tag.“ (2 Kor 4,16)

Amen.

Und der Friede G‘ttes, der weiter reicht als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne, im Messias Jesus.

Amen.

—————————

Anmerkung J.K: Die strukturelle Dimension von Rassismus der deutschen Gesellschaft wird in dieser Predigt nicht behandelt. Das schließt u.a. Rassismus als postkoloniales Strukturprinzip im europäischen Grenzregime, in der Arbeitsmarktpolitik oder auch polizeilicher Praxis wie racial profiling ein.