Wenn ich ein persönliches Statement zum Thema Rassismus geben soll, kann ich gar nicht nur von Rassismus reden. Intersektionalität ist allgegenwärtiger Teil meines Lebens. Intersektionalität beschreibt die Überschneidung und Gleichzeitigkeit von verschiedenen Diskriminierungskategorien gegenüber einer Person.
Als 37-jährige, studierte und verheiratete Frau, stell¬vertretende Abteilungsleiterin, deutsche Person of Color und Mutter von zwei Kindern werde ich in der Kirche und in der Ökumene regelmäßig und selbstverständlich als „jung“ bezeichnet, erfahre individuellen Sexismus und Rassismus.
Menschen meinen das tatsächlich nicht böse und das glaube ich ihnen sogar und spüre das auch. Aber die Unsichtbarkeit meiner Erfahrungen ist Teil des Prob¬lems, über das Kirche nicht reden mag. Projekte, Be-gegnungen, Gespräche, Entwicklungszusammenarbeit und Ökumene – es gibt vieles, das gut gemeint ist. Ich sehe da tatsächlich großes Potenzial, aber auch große Abwehrmechanismen bezüglich des Themas Rassismus. Das schafft Machtgefälle. Die wirklichen Privilegien teilen, fällt nämlich schwerer, als wir denken.
Wir müssen aber über die vielfältigen Formen von Rassismus ins Gespräch kommen. Wir müssen unsere eigenen strukturellen, institutionellen und individuellen Rassismen entlarven, reflektieren und überwinden.
Christ*innen brauchen Orte und Menschen, an und mit denen sie ihre eigenen Biografien daraufhin anschau-en können. Kirchenleitende müssen Rassismus als allgegenwärtiges Problem ihrer Kirche anerkennen. Menschen, die Programme in Gemeinden oder Gottesdienste leiten, brauchen diesbezüglich Fortbildungen.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir nur so in aller Konsequenz eine relevante, offene und barrierefreie Kirche mit Zukunft sein können.
Das ist ein langer und bestimmt auch schmerzhafter Prozess – wie kann es auch anders sein, denn wenn wir über Rassismus reden, dann sprechen wir von einem 500 Jahre alten historisch global herangewachsenen System, das Kirche mit aufgebaut und geprägt hat. Das geht nicht mal eben zu bekämpfen – das braucht Zeit, Aufmerksamkeit und Geld.
Ich bleibe zum Beispiel bis heute „fremd“ in der Kirche, in der ich aufgewachsen bin – da helfen auch nicht gu¬ten Manieren, eine gewisse Bildung, mein deutscher Pass mit Geburtsort Oberhausen, meine Ordination in der EKiR, Interesse an deutschem Kulturgut von Goethe über Currywurst bis hin zu Wolfgang Petry, mein Bau-sparvertrag mit bester Zinsbindung, das Eigenheim im Spießerstadtteil, ein weißer Ehemann, zwei weiße Kinder (wobei sich bei meinem Sohn die Menschen noch uneinig sind), ein überproportionaler Hang und Eifer zu Effektivität, fundiertes Wissen über die NS-Zeit oder ein ordentlicher Ruhrpott-Dialekt.
Die Frage bleibt: Und woher kommst du wirklich?
Mein „sogenannter Migrationshintergrund“ wird mir zugeschrieben. Aber wo soll der sein?
Ich bin mit Bratkartoffeln, Rahmspinat, dem schwarzen Peter und Pippilotta Viktualia in einer Arbeiter*innen-familie im Ruhrpott aufgewachsen und habe stilles Wasser aus ausgespülten Senfgläsern getrunken. Evangelische Taufe, katholischer Kindergarten, Kindergottesdienst, den sogar mein eigener Opa hielt, Vorschule, Schule, Konfirmation, ehrenamtliches Engagement in Kirche, Freiwilligendienst mit der Vereinten Evangelischen Mission in Tansania, Uni, Nebenjobs, WGs, Arbeit – wenn es „den“ deutschen Lebenslauf des Bildungsbürgertums gäbe, ich könnte ihn vorweisen.
Und dennoch fühle ich mich mit „fremd“ auch angesprochen – obwohl ich immer wieder in Kirche herzlich aufgenommen werde. Es bleibt ein Dilemma, aber mit so einem Blog wie diesem und vielen Initiativen und Weggefährt*innen bin ich hoffnungsvoll.
von Sarah Vecera, Stellvertretende Leiterin der Abteilung Deutschland der VEM