Interkulturelle Öffnung und rassismuskritische Perspektiven

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In unserer aktuellen Folge Stachel&Herz haben wir uns mit dem Experten Nicolas Moumouni über diese anstehenden Prozesse in der der Evangelischen Kirche unterhalten.

Was bedeutet interkulturelle Öffnung?
Interkulturelle Öffnung beschreibt das Ziel, Strukturen so anzupassen, dass sie die Vielfalt einer Gesellschaft widerspiegeln und allen Menschen Zugang und Mitsprache ermöglichen. Für die Kirche bedeutet das, sich gegenüber der kulturellen Vielfalt der Gesellschaft zu öffnen und den Anforderungen einer Einwanderungsgesellschaft gerecht zu werden. Dies erfordert nicht nur Offenheit, sondern auch eine Entwicklung auf struktureller Ebene – eine Herausforderung, der sich die Kirche heute stellen muss.

Warum eine rassismuskritische Perspektive?
Die interkulturelle Öffnung kann nicht gelingen, ohne gleichzeitig eine rassismuskritische Perspektive einzunehmen. Oft geschieht die Öffnung von Institutionen, auch von Kirchen, in einer Haltung, die Menschen anderer Herkunft als „Gäste“ betrachtet, denen man in „gnädiger Nächstenliebe“ begegnet. Doch eine rassismuskritische Perspektive fordert, diese Haltung zu hinterfragen: Sie erinnert daran, dass alle Menschen gleichermaßen zur Gesellschaft und Kirche gehören, unabhängig von ihrem kulturellen oder ethnischen Hintergrund. Rassismuskritik bedeutet, sich aktiv mit der eigenen rassistischen Sozialisation auseinanderzusetzen.

Kolonialgeschichte und die Herausforderung der interkulturellen Öffnung
Wie aus dem Gespräch im Podcast hervorgeht, ist die Kirche historisch eng mit der Kolonialgeschichte verknüpft, oft durch ihre Rolle in der Mission. Der Kolonialismus wäre, so die These von unserem Gast, ohne die Mission der Kirche möglicherweise nicht so erfolgreich gewesen, da Kirche und Mission nicht nur das Evangelium, sondern auch westliche Bildungs- und Gesellschaftsnormen exportierten. Heute zeigt sich in der interkulturellen Öffnung die Herausforderung, mit dieser Vergangenheit kritisch umzugehen und auf rassismuskritische Weise zu reflektieren, wie tief koloniale Denkmuster in kirchlichen und gesellschaftlichen Strukturen verankert sind.

Von Öffnung zu Entwicklung – Veränderung als Prozess
Wie Nicola Moumouni im Podcast betont, reicht eine „Öffnung“ alleine nicht aus, um echte Teilhabe zu gewährleisten. Öffnung kann oft bedeuten, dass das bestehende „Haus“ unberührt bleibt und Menschen lediglich durch die Tür gelassen werden. Eine wirkliche Entwicklung der Kirche und Gesellschaft bedeutet dagegen, das Haus selbst umzubauen, die Strukturen und Räume so zu verändern, dass sie die Vielfalt aller Menschen aktiv integrieren. Es braucht eine echte Veränderung – eine Entwicklung, die von allen Teilen der Gesellschaft getragen wird.

Die Rolle der Kirche und das Empowerment von BIPoCs
Eine zentrale Säule der interkulturellen Öffnung ist das Empowerment von BIPoCs (Black, Indigenous, and People of Color), sowohl in der Kirche als auch in der Gesellschaft. Statt nur in die Aufklärung der Mehrheitsgesellschaft zu investieren, braucht es gezielte Programme, die Menschen mit Migrations- und Rassismuserfahrung stärken und ihnen die nötigen Ressourcen bieten, um aktiv teilzuhaben und ihre Perspektiven einzubringen. Der Empowerment-Ansatz erkennt die spezifischen Hürden an, die Menschen aufgrund ihrer Herkunft erleben, und ermöglicht ihnen, als vollwertige Mitglieder und Gestalter*innen in kirchlichen und gesellschaftlichen Kontexten mitzuwirken.

Strukturelle Veränderungen – ein Beispiel aus der Praxis
In der Praxis geht es darum, Strukturen zu schaffen, die den Diskriminierungserfahrungen von BIPoCs tatsächlich gerecht werden. In kirchlichen Kontexten bedeutet das beispielsweise, Anlaufstellen für Menschen einzurichten, die Rassismuserfahrungen gemacht haben, und ihnen die Möglichkeit zu geben, Diskriminierung zu melden und sich rechtlich und seelsorgerisch beraten zu lassen. Ein Vorbild sind hier Strukturen wie die Ombudsstellen zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt – vergleichbare Anlaufstellen könnten auch für antirassistische Arbeit etabliert werden.

Fazit: Die interkulturelle Öffnung als gesellschaftliche Verantwortung
Die interkulturelle Öffnung von Kirche und Gesellschaft ist mehr als ein aktuelles Thema – sie ist ein langfristiger Prozess, der ein Umdenken und strukturelle Veränderungen fordert. Die rassismuskritische Perspektive erinnert uns daran, dass es keine echte Inklusion geben kann, solange alte Denk- und Machtmuster unreflektiert bleiben. Es geht darum, eine Gesellschaft und Kirche zu schaffen, in der alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, gleichberechtigt teilhaben können. Nur dann können wir wirklich sagen, dass wir die Türen nicht nur öffnen, sondern das Haus gemeinsam gestalten.