Ich bin keine Anti-Rassismus-Expertin

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Unter Federführung der VEM entwickeln wir mit mehreren Kooperationspartner*innen einen anti-rassistischen Glaubenskurs für Gemeinden (an anderer Stelle gerne mehr dazu). Nina Schmidt kam in unsere Gruppe und fühlte sich unsicher, weil sie (wie viele andere auch) eine gewisse Unsicherheit bezüglich der Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus hatte. Diese Gedanken teilte sie mit uns und wir möchten sie mit euch teilen, weil Nina für viele spricht. Da wir uns in der Gruppe ebenfalls als Lernende sehen, haben wir uns sehr über Ninas Offenheit gefreut und arbeiten bis heute gern, gut und intensiv seit mehreren Monaten mit Nina zusammen:

Nina Schmidt am 1.Dezember 2020:

Ich weiß nicht, was ihr beim letzten Treffen über mich gedacht habt:

Ich war still und ziemlich überfordert mit dem, was ihr besprochen habt. In mir tauchte eine Frage nach der anderen auf, aber ich habe mich nicht getraut, sie zu stellen. Mir erschien es, als könnte ich gar nicht NEBEN die aufgestellten Fettnäpfchen treten, sondern nur mitten hinein stapfen.

Ich möchte meine fünf Minuten heute gerne nutzen, um mit euch zu teilen, was ihr im Oktober in mir ausgelöst habt und ich möchte meine Fragen stellen.

Im Anschluss möchte ich euch fragen, ob ich mit euch weiterarbeiten darf, denn das Thema Rassismus beschäftigt mich schon mein Leben lang und ich habe den Eindruck, dass ihr als Gruppe mir an meinen Wegesrand gestellt wurdet, damit ich endlich ein paar Antworten auf Fragen bekomme, die ich mir bisher nicht getraut habe zu stellen, weil ich eben ungern in Fettnäpfchen trete.

Mit meinen Eltern habe ich schon als Jugendliche viele Diskussionen darüber gehabt, dass es nicht reicht, dass man ein Wort oder eine Aussage nicht böse gemeint hat. Ich habe oft versucht, ihnen zu erklären, dass man Dinge, die früher vielleicht alltäglicher Sprachgebrauch waren, nicht mehr sagen darf, wenn sie einen anderen Menschen verletzen. Ich, die diese Regel eingefordert hat, war mir aber nie sicher, ob ich selbst im Stande bin, sie einzuhalten. Ich wusste aber auch nie, mit wem ich das üben könnte, wen ich dazu befragen sollte.

Ich habe in der letzten Zeit einiges zum Thema Rassismus gelesen und mir ist klargeworden, warum ich meine Fragen nie gestellt habe.

Ich glaube, dass wir GEMEINSAM lernen müssen: Menschen, die sich als „weiß“ bezeichnen und People of Color – Im Dialog. Denn die eine Seite kann nur schwer erahnen wie vermeintliche Kleinigkeiten schon verletzen können und die andere Seite könnte hinhören, ob eine Kleinigkeit vielleicht eine Kleinigkeit bleibt und fragen: „Wie hast du das denn jetzt gemeint?“
Und ja: Ich kann mir vorstellen wie ätzend das ist wenn man zum 100ten Mal in so eine Situation gerät. Aber ich glaube, dass man diese Situationen nur im Dialog seltener machen kann.

Ich interessiere mich für Menschen. Und wenn ich jemanden kennenlerne, frage ich, woher die Person kommt. Ich stelle diese Frage, wenn ich die Antwort Leipzig, Köln oder Berlin erwarte genauso, als wenn ich die Antwort USA, Tansania, Schweiz oder Syrien erwarte. Ich habe gelernt, dass es auf Grund von kulturellen Gegebenheiten ein Unterschied ist, ob man Projekte in Deutschland plant oder in bspw. Japan. Und wenn es wichtig ist, etwas über die Wurzeln eines Menschen zu erfahren, dann höre ich gerne zu. Informationen, die mir nicht zustehen, möchte ich auch nicht haben.

Aber wo sind die Grenzen zwischen Interesse und Grenzüberschreitung? Muss ich bei einer Person of Color Angst haben die „Wo kommst du her“-Frage zu stellen, weil mein Gegenüber vermutet, dass mir die Antwort „Hamburg“ nicht reicht?

Wenn meine Freundin, die um ihre Mutter trauert, mich darauf hinweist, dass sie eine Zeitlang nicht mehr gefragt werden möchte, wie es ihr geht, kann ich das genauso akzeptieren wie wenn die syrische Mutter in der Schule nicht mehr erzählen möchte wie sie nach Deutschland gekommen ist, weil es zu viele schlimme Erinnerungen aufkommen lässt. Das hat was mit Grenzsetzung zu tun. Das sollte ich in beiden Fällen akzeptieren. Aber beiden werde ich sagen, dass ich als Gesprächspartnerin da bin, wenn Redebedarf besteht.

Ich finde es großartig, dass ihr mit dem Glaubenskurs in den Dialog mit Menschen in Gemeinden gehen möchtet. Ich denke, es ist dringend nötig, dass der Blick dafür geschärft wird, wie wir die Bibel lesen und interpretieren und wie wir über Glaubensfragen in den Gemeinden sprechen.

Bei unserem letzten Treffen habe ich mich gefragt, wie ihr mit Menschen aus Gemeinden umgeht, die wie ich unbeholfen sind im Umgang mit People of Color. Ihr hattet gesagt, dass ihr Gemeinden, die noch keine diversen Gruppen haben, erstmal vertrösten werdet, bis sie sich kulturell geöffnet haben. Brauchen nicht gerade diese Gemeinden eine Anschubhilfe in Sachen Mut? Würden die überhaupt nach einem Anti-Rassismuskurs fragen? Ich weiß es nicht.

Was mich beruhigt hat, war die Aussage, dass wir alle ein Rassismusproblem haben und dass auch People of Color rassistische Denkstrukturen haben.

Ich bin gespannt, was ihr für die Einheiten überlegt habt und wie ihr den Dialog zu diesen Themen konstruktiv eröffnen werdet.

Ich stelle es mir wahnsinnig schwer vor, die Blicke für Rassismus zu schärfen und dabei einen Aha-Effekt auszulösen und keine Verletzlichkeiten. Und ich stelle es mir wahnsinnig schwer vor, die Menschen ohne Angst, jemanden zu verletzen, in den Dialog zu bringen.

Und jetzt komme ich wieder zu meiner Frage vom Anfang. Darf ich gemeinsam mit euch auf die Suche nach Antworten gehen? Darf ich in eurer Runde Fragen stellen, mit denen ich vermutlich das ein oder andere Fettnäpfchen treffe.

Ich möchte gerne den Blick der Gemeinden einnehmen und mich, wenn ihr mögt, auch mal in meiner eigenen Gemeinde auf den Weg machen, um zu schauen, ob ein Kurs wie wir ihn hier überlegen ankommen würde. Denn wie ich letztes Mal schon gesagt habe:

Ich glaube, ich bin ziemlich gut behütet aufgewachsen und kenne manche Konflikte gar nicht aus eigener Erfahrung. Und ich hätte Lust, mal rauszufinden, ob es den Menschen in meiner Gemeinde auch so geht und ob sie Interesse an Antworten auf Rassismusfragen hätten.