Gegen Faschismus und für die Liebe

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Der Brandanschlag auf die Michaelskirche in Spremberg zeigt: Es braucht die Kirchen als „Orte radikaler Liebe“.

Dieser Text wurde von mehreren Autor:innen des Befreiungstheologischen Netzwerks [btn] kollektiv verfasst. Die Autor:innen arbeiten in der Evangelischen Kirche, ihre Namen sind der Redaktion bekannt.

Der Juni ist der Monat, in dem queeres Leben besonders gefeiert wird. Der Juni ist traditionell pride-Monat. Angestoßen wurde er 1969 durch den Aufstand, den Schwarze, Latinx-Transfrauen und Dragqueens in der Christopher Street in New York organisiert hatten. Auch in vielen Städten hierzulande finden dieses Jahr große Prides und Christopher Street Days (CSD) sowie unzählige kleine Veranstaltungen statt.

So auch im brandenburgischen Spremberg, einem Ort in der Nähe von Cottbus. Hier zeigte die evangelische Kirchengemeinde vergangenen Freitag den Film „Nelly & Nadine“. Er handelt von der Liebe zweier Frauen, die sich 1944 im Konzentrationslager Ravensbrück kennenlernten, überlebten und nach dem Faschismus ihr Leben in Liebe weiterführen konnten.

Als sichtbares Zeichen der Verbundenheit und Solidarität mit queeren Menschen wehen seit Freitag an der Kirche und an über 350 weiteren Orten im Landkreis Regenbogenfahnen. Die Regenbogenfahne an der Michaelskirche wurde in der Nacht auf Samstag, den 24. Juni 2023, zum Ziel eines Brandanschlags. An der Fassade der Kirche sind direkt neben der Fahne und am Boden deutliche Verrußungen sichtbar. Das Feuer konnte jedoch nicht auf die Fahne und den Dachstuhl übergreifen. Zum Zeitpunkt des Anschlags schliefen vier Personen Pfarrhaus, das an die Kirche angrenzt.

Der Anschlag ist der vorläufige Höhepunkt in einer Reihe von Übergriffen und Einschüchterungsversuchen gegen Menschen vor Ort und das Pfarrteam. „Es ist unserer Ansicht nach nicht so, dass wir in unserer Arbeit hier herausgepickt wurden, sondern wir haben hier eine große Gruppe an Menschen, die sich für Solidarität in Spremberg einsetzt.“, erklärt Pfarrerin Jette Förster im Interview mit evangelisch.de.

Alltag in Deutschland: Rechte und rassistische Gewalt

Brandanschläge dieser Art sind Ausdruck von rechtsextremer und demokratiefeindlicher Gesinnung. Sie reihen sich ein in eine ununterbrochene Welle rechter und rassistischer Gewalttaten, die jede Woche in diesem Land passieren – und das bundesweit. Einen deutlichen Eindruck davon gibt die Chronik zu rechter und rassistischer Gewalt, die wöchentlich von Belltower.News, einem Online-Angebot der Amadeu-Antonio-Stiftung, herausgegeben wird. Queerfeindliche Übergriffe werden hier ebenfalls dokumentiert, da sie oft eine innere Verbindung zu anderen rechten Straftaten haben.

Einige aktuelle Beispiele:

Am Tag des Brandanschlags von Spremberg beleidigten zwei Männer in Schweinfurt einen 33-Jährigen rassistisch und schlagen ihm anschließend ins Gesicht. Sie bewarfen den Mann ruandischer Staatsangehörigkeit mit Kleingeld und setzten ihre Beleidigungen auch dann fort, als bereits mehrere Streifenwagen vor Ort waren.

Ende Mai schoss in Hamburg ein 48-jähriger Hitler-Fan auf eine schwangere 24-jährige Frau, die in Deutschland geboren ist und deren Eltern eine pakistanische Migrationsgeschichte haben. Sie wurde glücklicherweise nicht verletzt.

Auch im Umfeld der Prides und des CSD kommt es zu gewaltvollen und zum Teil tödlichen Übergriffen. Im vergangenen Jahr wurde der Transmann Malte C. in Münster brutal verprügelt, als er anderen queeren Menschen zu Hilfe eilte. Malte verstarb wenig später im Krankenhaus. Er war 25 Jahre alt.

Ein ähnliches Szenario wiederholte sich vor wenigen Wochen beim CSD in Hannover. Hier wurde ein 17-jähriger krankenhausreif geschlagen. Er war mit seinen Freunden auf dem Rückweg vom CSD. Vor dem Hauptbahnhof beschimpften zwei Unbekannte zunächst die Gruppe mit queerfeindlichen Äußerungen. Dann schlugen sie einen nicht-binären Menschen aus der Gruppe. Bei dem Versuch, die Situation zu entschärfen, wurde auch der 17-Jährige geschlagen und zu Boden gestoßen. Die Täter traten ihm mehrmals gegen den Kopf und flüchteten dann.

Dieser Realität stellen sich marginalisierte Menschen tagtäglich entgegen. Im post-nationalsozialistischen und post-kolonialen Deutschland ziehen sich Rassismus und andere gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit quer durch alle Gesellschaftsschichten. Die Übergriffe nehmen seit dem erneuten Erstarken rechtspopulistischer (besser: rechtsradikaler?) Bewegungen weiter zu. Beratungsstellen wie „before“ in München berichten von Tagen, an denen sie auf die Menge an Anfragen nicht angemessen reagieren können. Gerade auch Kinder seien vermehrt von Angriffen betroffen.

Die Kirche als „Ort radikaler Liebe“

In Spremberg wurde die Kirche angegriffen, weil sie sich als schutzbietender Raum gezeigt hat. Der queerfeindlichen und rassistischen Gewalt, die auch von der Bundesregierung ausgeht (s. GEAS.Reform, hier in der Eule), muss auf vielfältige Weise begegnet werden. Ein Schritt sollte sein, dass noch mehr Kirchengemeinden sich als aktive Schutzorte verstehen und sich laut und entschieden für eine solidarische und offene Gesellschaft der Vielen einsetzen. Eine Fahne am Kirchturm, eine Filmveranstaltung zu queeren und antirassistischen Themen, ein Artikel im Gemeindebrief, die Entscheidung Willkommensgemeinde bei Zwischenraum zu werden – es gibt viele Möglichkeiten aktiv zu werden.

Langfristiges Ziel sollte sein, ausgehend von den Perspektiven marginalisierter Menschen die Kirchen „in Orte radikaler Liebe“ (Quinton Ceasar) zu transformieren. Auf diese Weise werden sie ein aktiver Teil der kritischen Zivilgesellschaft und haben auch strukturell die Chance, dem Kulturkampf von rechts und faschistischen Übergriffen etwas entgegen zu setzen. Die prophetischen und messianischen Traditionen der Bibel und die Tiefe religiöser Rituale bringen hier unschätzbare Möglichkeiten mit sich und bereichern die politische Auseinandersetzung um neue Zugänge und wichtige Gegenerzählungen.

Damit wird dorthin kommen, braucht es jedoch eine gute Portion Selbstkritik und Umkehr, wie sie Pastor Quinton Ceasar in seiner Abschlusspredigt beim Kirchentag in Nürnberg prophetisch einklagte. Damit auch die Menschen in den weißen und heteronormativen Enklaven und vermeintlich Unbeteiligte endlich in den postmigrantischen und queeren Gesellschaften ankommen. Damit sie und wir alle erkennen, dass jeder dieser Angriffe ein Angriff auf unsere Zukunft ist.

Dieser Artikel erschien im Magazin Eule