Anti-Asiatischer Rassismus ist weitaus mehr und wesentlich komplexer als der Hashtag #ichbinkeinvirus. Alena Höfer ist Theologin und arbeitet an der Ruhr-Universität Bochum. Sie zeigt uns drei Schlaglichter auf, um uns dem Thema anzunähern, dass auch für uns als Kirche relevant ist:
Rassismus ist höchst relevant, komplex und zerstörerisch. Das ist vor allem seit dem letzten Jahr durch die Black-Lives-Matter Bewegung durch Medien, digitale Gesprächsrunden, neue Bildungsprogramme auch in Gesellschaft und Kirche in Deutschland angekommen. BIPoC erheben an unterschiedlichen Stellen ihre Stimmen und werden begleitet von einer zunehmenden kritischen Reflexion des Weißseins und damit einhergehende Machtansprüche und strukturelle Ausschlussmechanismen. Zu den People of Color gehören auch asiatische bzw. asiatisch gelesene Menschen mit ihren sehr unterschiedlichen Identitäten, Erfahrungen und Verortungen in der Gesellschaft. In vielen Diskussionen zum Thema Rassismus sind die Erfahrungen und Meinungen asiatischer bzw. asiatisch-gelesener Menschen lediglich ein Nebenschauplatz. Das mag daran liegen, dass asiatische Rassismuserfahrungen zum Teil anderen Mechanismen von Stereotypisierungen und Marginalisierungen unterliegen. Außerdem zeigt sich, dass sich rassistische Strukturen des Dualismus zwischen weißen, machthabenden Menschen und Schwarzen nicht umfänglich auf den genannten Kontext übertragen lassen. Sie unterliegen z.T. eigenen Logiken rassistischer Fiktionen, die zugleich immer in Beziehung zu und ein Teil von BIPoCs sind. Rassismuskritische Diskussionen sind nur dann vollständig, wenn alle Stimmen und Erfahrungen gehört werden. Ich werde im Folgenden einige Schlaglichter auf die rassistischen Marginalisierungserfahrungen von asiatischen bzw. asiatisch gelesenen Menschen geben. Sie sind keinesfalls vollständig und sollen zu weiteren Gesprächen anregen.
- Wer oder was ist asiatisch?
Asien ist ein Kontinent, dessen Grenzen zu Europa fließend sind. Es handelt sich um einen sehr diversen Kontinent mit je eigenen Geschichten und Hintergründen. Die wohl umfassendste mögliche Gemeinsamkeit innerhalb Asiens ist ihre tendenziell multireligiöse und -spirituelle Realität. Auch Kolonialisierungserfahrungen und Begegnungen mit Weltmissionsbewegungen sind sehr unterschiedlich. So ist die Geschichte Indiens nachhaltig von ihrer britischen Kolonisation geprägt, während Korea von ihrem Nachbarland Japan kolonisiert worden ist und Japan selbst keine Kolonisierungserfahrungen gemacht hat. Auch die Geschichte der Christentümer ist divers. Neben der kontroversen Begegnung mit Weltmissionsbewegungen, entstehen zum Beispiel erste christliche Gemeinden in Korea zunächst durch eigene Initiativen. Darüber hinaus entwickeln sich Christentümer in asiatischen Ländern und über Landesgrenzen weit hinaus wiederum nur im Plural in ihren eigenen postkolonialen und selbstreferentiellen Bezügen des Konkreten. Die Theologin Namsoon Kang verweist darauf, dass der Anspruch einer asiatischen Theologie die pluralen Identitäten und Kontexte Asiens nur reduktionistisch und essentialistisch widerspiegeln kann. Asiatische Theologien gibt es nur im Plural. Deshalb stellt sie die folgende zukunftsweisende kritische Frage: »Wird die asiatische Theologie im globalen Kontext wieder erkennbar sein, wenn sie nicht über AsiatInnen als AsiatInnen spricht, wenn sie sich nicht auf die ethnische Identität konzentriert, isoliert von anderen Aspekten der Identität, und wenn sie nicht versucht, die Situation von ›AsiatInnen im allgemeinen‹ zu beschreiben?« Namsoon Kangs theologische Kritik ist auf die Realität von den deutschen Landeskirchen anzuwenden: Nimmt Kirche die Pluralität und Hybridität asiatischer bzw. asiatisch gelesener christlicher Menschen und ihre diversen Anknüpfungen an Gemeinden in Deutschland wahr? Und wo kommen in Kirche ihre Stimmen zu Wort, ohne dass einzelne Beiträge für einen ganzen Kontinent generalisiert werden?
2. #ichbinkeinvirus
In der Corona-Pandemie und ihrer medialen Berichterstattung erleben Asiatisch Deutsche, Asiatisch Diasporische und andere asiatisch gelesene Personen in Deutschland und weltweit neue Formen rassistischer Gewalt. Unter dem Hashtag »ichbinkeinvirus« machen asiatische und asiatisch gelesene Menschen auf die Konsequenzen einer rassifizierenden Berichterstattung über Covid-19 aufmerksam. Auf der Titelseite der sechsten Ausgabe der Zeitschrift des Spiegels vom 01.02.2020 ist zum Beispiel eine asiatische bzw. asiatisch gelesene Person zu sehen. Sie trägt Schutzkleidung und eine Vollmaske. Sie hat außerdem Kopfhörer auf und schaut auf ein Handy. Der Titel lautet: »Corona-Virus. Made in China. Wenn die Globalisierung zur tödlichen Gefahr wird«. Der Verein korientation schreibt zu der Titelseite des Spiegels: »Der Aufmacher in großen, gelben Buchstaben ›Made in China‹ spielt mit der kolonial-rassistischen Vorstellung der ›Gelben Gefahr‹ aus dem ›Osten‹ und löst diskriminierende Assoziationen zu minderwertiger Qualität und Massenproduktion aus. China wird damit als Produktionsstätte eines tödlichen Virus dargestellt und seine gesamte Bevölkerung als Krankheitsträger*innen – die Liste der Beispiele für rassifizierende Berichterstattung zum Coronavirus ist lang.«
Im Artikel »Antiasiatischer Rassismus in Deutschland« der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) zeigen Kimiko Suda, Sabrina J. Mayer und Christoph Nguyen auf, dass antiasiatischer Rassismus in Deutschland nicht erst seit der Pandemie existiert, sondern eine lange und schmerzhafte Erfahrungsgeschichte darstellt. »Asiatisch gelesene Menschen in Deutschland sind in widersprüchlicher Weise sowohl von positivem als auch negativem Rassismus betroffen. Einerseits werden sie vielfach als ›Vorzeigemigrant*innen‹ beschrieben und gegen andere (post)migrantische Gruppen ausgespielt; andererseits werden sie als homogene Masse dargestellt, von der eine Gefahr für die Weiße Mehrheitsgesellschaft ausgehe. Antiasiatischer Rassismus in Deutschland umfasst unterschiedliche Formen von Gewalt. Diese reichen von verbalen Mikroaggressionen über strukturelle Diskriminierung bis hin zu körperlichen Angriffen und Morden. In Kitas und Schulen werden Kinder in Lehrbüchern und bei Festen mit rassifizierten Missrepräsentationen von ›asiatischen Körpern‹ und ›asiatischer Kultur‹ konfrontiert. Dabei unterscheiden sich die in Populärkultur und medialer Berichterstattung weit verbreiteten rassifizierten Zuschreibungen auch nach Geschlecht: So werden asiatisch gelesene Frauen sexualisiert, exotisiert und infantilisiert, Männer dagegen desexualisiert und feminisiert.«
Antiasiatischer Rassismus existiert in Deutschland und hat eine schmerzhafte, strukturelle Geschichte. Die EKD ist Teil von Gesellschaft. In ihrem Selbstverständnis Volkskirche zu sein, erhebt sie den Anspruch, für alle Menschen in der Gesellschaft da sein zu wollen. Als öffentliche Institution will sie in die Gesellschaft einwirken. Es stellt sich also die kritische Frage, an welchen Stellen und in welchen Situationen Kirche antiasiatischen Rassismus wahrnimmt, dekonstruiert und sich selbst kritisch reflektiert sowohl innerhalb von Kirche als auch in ihrer öffentlichen Verantwortung.
3. Marginalisierungserfahrungen des Pfarrers Jung Young Lee in den USA
Das dritte Schlaglicht kommt aus den USA. In einer autobiographischen Theologie berichtet der koreanisch-amerikanische Pfarrer Jung Young Lee, wie seine Lebensgeschichte seine eigene Theologie beeinflusst hat. Er studiert in den USA Theologie mit dem Ziel, Pastor in der United Methodist Church zu werden. Bei seinem Aufnahmegespräch wird ihm erklärt, dass er alle Voraussetzungen für das Pfarramt erfülle und er in die Kirche aufgenommen wird. Jedoch sei es leider so, dass der Bischof keine Gemeinde finden konnte, die ihn als Pfarrer haben wolle. Es sind Narrationen der Marginalisierung wie die von Jung Young Lee, die viele asiatische und asiatisch gelesene Menschen prägen. Neben der gegenwärtig aufkommenden öffentlichen Kritik antiasiatischer Rassismen, ist das Paradigma der Marginalisierung für Kirche und Theologie ein zentrales Paradigma. In der Unterscheidung zwischen Zentrum und Peripherie, ist es das Anliegen der Bewegung Mission von den Rändern – ausgehend von der 10.Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Busan, Südkorea – das, was vom Machtzentrum exkludiert wird, sichtbar zu machen und dadurch die polyzentrische Realität von Kirche und Theologie zu betonen. Mit der Methode des Story Tellings werden die Geschichten der strukturellen Unterdrückung, der Stereotypisierungen und Rassismen und Marginalisierungen erzählt und zum Ausgangspunkt von Theologie. Neben dem Fokus auf Marginalisierungserfahrungen steht im asiatischen Kontext zugleich auch die Realität hoch technologischer Nationen, die den Standard Deutschlands weit überragen und ihr Wissen global teilen. Darin zeigt sich, die mehrfach betonte Pluralität des asiatischen Kontextes und die Notwendigkeit der differenzierten Betrachtung, auch wenn das die Komplexität der Thematik erhöht.
Kirche muss sich fragen, ob sie diese Theologien hört und gleichberechtigt wahrnimmt und ob sie sich selbst durch diese in Frage stellen lässt.
Die drei Schlaglichter antiasiatischer Rassismuserfahrungen und Marginalisierungen in Gesellschaft und Kirche zeigen die Notwendigkeit der intensiven Beschäftigung mit dieser Thematik als Teil rassismuskritischer Arbeit auf. Kirche ist auf dem Weg, aber noch lange nicht am Ziel einer gleichberechtigten und inklusiven Kirchengemeinschaft sowohl lokal als auch global.
Literaturnachweis:
Kang, Namsoon: »Wer oder was ist asiatisch? Eine postkoloniale Lektüre über Orientalismus und Neo-Orientalismus«, in: Nehring/Tielesch (Hg.), Postkoloniale Theologien. Bibelhermeneutische und kulturwissenschaftliche Beiträge, Stuttgart 2013, 203-220.
Lee, Jung Young: »A Life In-Between. A Korean-American Journey«, in: Phan/Lee (Hg.), Journeys at the Margin. Toward an Autobiographical Theology in American-Asian Perspective, Minnesota 1999, 23-39.
Suda, Kimiko / Mayer, Sabrina J. / Nguyen, Christoph: Antiasiatischer Rassismus in Deutschland, in: pbp (https://www.bpb.de/apuz/antirassismus-2020/316771/antiasiatischer-rassismus-in-deutschland [Zugriff: 18.06.2021]).
Homepage des Vereins korientation: https://www.korientation.de [Zugriff: 18.06.2021]