Missionale Gemeinde: Nur von Weißen für Weiße?

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Von Claudia Währisch-Oblau

Sie haben sich gehäuft in der Zeit vor der Pandemie: Workshops, Netzwerktreffen, Tagungen und Symposien zu Themen wie „Mission in Deutschland“ oder „missionale Gemeindeentwicklung“. Wenn ich an diese Veranstaltungen zurückdenke, dann fällt mir auf: Anwesend waren auf ALLEN diesen Tagungen ausschließlich weiße Menschen (und ganz überwiegend Männer — aber das ist ein anderes Thema!). Und diskutiert wurde immer nur darüber, wie wir das Evangelium weißen Menschen bringen können. Ich vermute, dass das nie eine bewusste Entscheidung gegen People of Color und Eingewanderte war — aber sie waren schlicht nie im Blick.

Im letzten Jahr ging es in den entsprechenden Workshops und Treffen dann meist um digitale Kirche. Und auch da: alle Kacheln zeigten immer nur weiße Gesichter. Wenn ich das in den einschlägigen Kreisen mal anspreche, ernte ich meist großes Erstaunen: „Oh, das ist mir noch gar nicht aufgefallen!“ Auch ich war lange dafür blind.

Woher kommt das? Schließlich setzen sich doch die evangelischen Kirchen in ganz besonderer Weise für Geflüchtete und Migrierte ein! Aber im Blick sind sie vor allem als Klient*innen unserer diakonischen und politischen Arbeit, nicht aber als Geschwister in Christus!

Denn viele denken ja, es würden vor allem Muslim*innen nach Deutschland einwandern. Weit gefehlt! 2016 waren 51,4% der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland katholisch, evangelisch oder orthodox! Vor allem in den Ballungsgebieten und in größeren Städten finden sich, wenn man ein bisschen genauer hinschaut, viele hunderte kleiner und mittelgroßer internationaler Gemeinden. Gerade die evangelischen (oft charismatisch oder pfingstlich geprägten) unter ihnen haben in aller Regel einen deutlichen, evangelistischen Anspruch. Die landeskirchlich-evangelischen Gemeinden in denselben Orten sind dagegen fast immer rein weiß.

Und: Es gibt in Deutschland nicht wenige Deutsche, die hier geboren, hier aufgewachsen und People of Color sind! Es wäre ein großer Fehler, das Thema „weiße Kirche“ auf die Frage nach Migrant*innen zu verengen.

Das heißt: In den evangelischen Landeskirchen fehlen die Eingewanderten der ersten Generation, die Menschen „mit Migrationshintergrund“ der zweiten Generation, und die Schwarzen Deutschen. Nur ist das den meisten Menschen, die in diesen Kirchen aktiv sind, noch nie aufgefallen.

Dabei verstehen sich die Landeskirchen als „Volkskirchen“, also als Kirche für die gesamte Bevölkerung. Aber offensichtlich wird das „Volk“ in „Volkskirchen“ mehr oder weniger unbewusst immer noch als eine ethnische, weiße Größe gedacht. Während die evangelischen Landeskirchen sich politisch und sozial frühzeitig und deutlich positiv zu Immigration und Integration positioniert haben, wurde weder ein missionarischer Auftrag an Zugewanderte gesehen noch irgendeine größere Anstrengung gemacht, evangelische Zugewanderte in deutsche Kirchenstrukturen zu integrieren. Meines Wissens hat sich kein volksmissionarische Amt einer Landeskirche je gefragt, ob es vielleicht auch zur Mission an türkischen Zugewanderten gerufen sei. Ebensowenig ist die zweite Generation — in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder eingewanderter Eltern — im Blick. Und schließlich bezieht sich die intensive Debatte um Konfessionslose/Indifferente stets nur auf weiße Deutsche — ohne das jedoch explizit zu machen. Selbst wo man im Sinn milieusensibler Kommunikation des Evangeliums versucht, die Verengung auf ein bildungsbürgerliches Milieu zu überwinden, hat man trotzdem in aller Regel nur ethnisch deutsche, weiße Menschen im Blick.

Dieser innere Widerspruch einer Kirche, die nach außen für eine Willkommenskultur wirbt, diese aber für sich selber weder lebt noch ernsthaft anstrebt, wird aber in dieser Kirche wenig wahrgenommen und noch seltener thematisiert. Dabei handelt es sich, provokant gesagt, um eine Art ‚innere AfD‘ evangelisch-landeskirchlichen Denkens: Wir sind deutsch und wollen es bleiben — auch wenn das meistens nicht so explizit gesagt wird.

Deutlich wird dieser innere Widerspruch, seit in den letzten Jahren immer mehr Geflüchtete in deutschen Gemeinden getauft werden. Ein Pfarrkollege berichtete mir vor einiger Zeit, dass in seiner Gemeinde inzwischen rund 60 Menschen aus dem Iran und Afghanistan am Sonntagsgottesdienst teilnehmen und damit etwa die Hälfte der Anwesenden stellen. Solange seine Gemeinde sich diakonisch um Geflüchtete gekümmert habe, sei das Engagement aller groß gewesen. Als aber immer mehr Geflüchtete in den Gottesdienst kamen, regte sich Widerstand bei den Alteingesessenen: Das sei ja jetzt nicht mehr ‚ihre‘ Gemeinde! Ihnen gefiel nicht, dass die deutschsprachige Predigt auf Farsi zusammengefasst und dass nicht mehr nur deutsche Choräle gesungen wurden.

Mein Verdacht ist: Diese Schwierigkeiten sind eine unheilvolle, späte Nebenwirkung der Reformation mit ihrer Betonung auf Gottesdienst und Bibel in der Umgangssprache. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert sind dann im evangelischen Verständnis Glaube, ethnische Identität und Muttersprache so eng verschmolzen, dass Gemeinde multikulturell und divers schlicht nicht mehr zu denken ist. „Nur in meiner Muttersprache kann ich richtig beten“ ist ein Satz, den ich immer wieder höre. (Und der im übrigen Unsinn ist, sage ich als eine, die gelernt hat, in anderen Sprachen zu beten. Mein geistliches Leben und meinen Glauben hat das ungemein bereichert!) Dabei bestand doch Pfingsten, das Urereignis der Kirche, genau darin, dass Menschen in ganz neuen Sprachen über ihren Glauben Auskunft gaben!

Wenig hilfreich ist auch die Metapher von der „Heimat Kirche“. Impliziert ist da schnell, dass Kirche der Ort ist, wo ich unter Gleichen und Gleichgesinnten bin und mich nicht erklären muss. Und wer da nicht blond und blauäugig ist, wird als fremd gelesen, als jemand, der/die nicht zu uns gehört.

Artikel VI der Barmer Erklärung, die zu den Glaubensartikeln vieler evangelischer Landeskirchen gehört, sagt es eindeutig: „Der Auftrag der Kirche, in welchem ihre Freiheit gründet, besteht darin, … die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk.“ Es wird höchste Zeit zu erkennen, dass das nicht nur weißes Volk ist!