Reflexion eines Superintendenten über sein weiß-Sein

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Sarah Vecera ist häufig in Pfarrkonventen (Dienstbesprechungen von Pfarrer*innen) als Referentin zum Thema „Kirche und Rassismus“ zu Gast. Am 3. Februar 2021 war sie im Evangelischen Kirchenkreis Gladbeck-Bottrop-Dorsten und bat den dortigen Superintendenten (Leiter des Kirchenkreises) um einen Einstieg über seine rassismuskritische Selbstreflexion. Seine Gedanken sind lose angelehnt an einen Text über das eigene weiß-Sein von Christina Biere:

Steffen Riesenberg:

Ich bin ein weißer Mann. Damit ist schon viel gesagt über mich. Mein Sohn ist auch ein weißer Mann, und damit ist viel gesagt über ihn, über die Chancen und Möglichkeiten, die er in seinem Leben haben wird. Denn wir, die weißen Männer, sind mächtig und einflussreich. Wir sind fast überall in der Mehrheit. In den Rathäusern in Nordrhein-Westfalen, zum Beispiel. In den Presbyterien und Kreissynoden, in der Kirchenleitung. Weltweit gesehen sind wir wohlhabender als die Männer, die nicht weiß sind, und als die Weißen, die nicht Männer sind.

Mit weiß meine ich nicht die Hautfarbe. Dass ich weiße Haut hatte, wusste ich immer schon, und dass nicht alle weiße Haut haben, habe ich in der Grundschule gelernt. Die ersten Kinder mit schwarzer Haut in unserer Kleinstadt waren meine Cousins, weil meine Frau einen Mann aus Nigeria geheiratet hat.

Mit weiß meine ich das Konzept, dass weiße Haut normal und gut ist.  Weiße Männer durften immer schon Priester und Pfarrer werden. Frauen erst seit gut 50 Jahren. Weiße Männer haben die Welt regiert, als Kaiser und Könige, in Schulen und Hochschulen, im Militär. Wir weißen Männer haben es gut, denn wir können auf dieser Welt alles werden. Und die Welt ist so, wie sie ist, weil wir sie so gemacht haben.

Ihr lieben Kolleginnen und Kollegen,

ich meine jedes Wort davon. Wir merken es nicht immer, aber das ist noch immer die Welt, in der wir leben. Unsere Großeltern und Eltern haben in dieser Welt gelebt, die Ordnungen und Vorstellungen, nach denen wir unser Leben ausrichten, sind über die Jahrhunderte in dieser Weltordnung entstanden.

Manchmal bemerke ich dieses Konstrukt. Nicht immer, wahrscheinlich eher selten. Aber zum Beispiel, wenn mir auffällt, dass für einen Ausschuss wieder nur Männer nominiert sind und ich einer davon bin. Oder wenn mir auffällt, dass ich mit einem Mann, der so aussieht, als käme er nicht aus Deutschland, ein wenig langsamer und deutlicher rede. Wenn ich mich dabei ertappe, erstaunt zu sein, wie viele Schüler*innen mit türkischem Namen in Bottrop jedes Jahr Abitur machen. Wenn ich Menschen aus dem Irak oder Iran ganz automatisch für Muslime halte. Wenn ich stille Zweifel bemerke, ob Dr. Ahmed Abadi und Dr. Panagiotis Dimitriou wirklich gute Ärzte sind und meinen Sohn auf die Welt bringen können. Wenn ich die Namen von Geflüchteten aus unseren Gemeinden abkürze, weil der syrische Name zu lang oder zu kompliziert auszusprechen ist.

Weiß sein, und dazu ein weißer Mann sein, ist ein Privileg in unserer Gesellschaft. Die weiße Norm ist die Brille, durch die die allermeisten von uns ihr ganzes Leben lang die Welt gesehen haben. Die Brille, durch die wir eingeteilt haben, wer „normal“ ist und wer „anders“ ist. Die Brille, durch die ich gelernt habe, dass mein Grundschulfreund Hakan halt ein Türke ist, anders, nicht so wie wir. Die Brille, durch die ich gelernt habe, dass der nigerianische Mann meiner Tante anders ist, nicht so wie wir.

Necati aus der Grundschule hat jeden Tag erlebt, dass er nicht weiß ist. Die Kinder meiner Tante mit ihrer dunklen Haut und ihrem nigerianischen Nachnamen haben jeden Tag erlebt, dass sie nicht weiß sind. Sie erleben es in der Schule, bei der Berufswahl, bei Bahnfahrten und Ausweiskontrollen.

Ich selbst bin mit diesem Thema noch ganz am Anfang. Ich habe mehr Fragen als Antworten. Ein paar von meinen Fragen sind diese:

Was können wir tun? Wie können wir unseren eigenen Kontext neu entdecken und bisherige Selbstverständlichkeiten hinterfragen? Was bedeutet das, weiß zu sein? Welche Mechanismen in unserer Kultur und in uns selbst pflegen und bewahren diese weiße Norm, unsere Privilegien? Und wie halten wir das aus, wenn die Welt ins Wanken gerät und wir uns immer wieder schämen, wenn wir weiße Privilegien erkennen, die uns gar nicht bewusst waren?

Wie können wir Verbündete werden für Menschen, die Rassismus und Ausgrenzung in der Kirche erfahren, und zwar ohne gleich wieder zum weißen Helfer zu werden (denn wir Weißen, wir kennen uns ja aus mit den Dingen)? Und wie bringen wir den Mut auf, zu verzichten und anderen Menschen Einfluss und Zeit und Ämter und Macht und Reichweite zu geben?

Mehr Fragen als Antworten. Ich suche die Sprache, und ich merke immer wieder, wie ich beim Formulieren auf Fragen und an Grenzen stoße. Es gibt – offenbar – so viel zu lernen, so viel zu reflektieren. Es ist viel Arbeit und eine große Aufgabe.

Eins ist mir klar: Wir – die weißen Männer, und die weißen Frauen auch – müssen zuzuhören. Wir können nicht in weißen Runden die Lösungen finden, weil das dann doch wieder nur weiße Lösungen sein werden. Bei einer WDR-Sendung in der vorletzten Woche konnte man das erleben, wie schauerlich es ist, wenn lauter privilegierte weiße Leute überlegen, wie sich Rassismus wohl anfühlt.

Deshalb habe ich das Thema „Kirche und Rassismus – und was hat das mit uns zu tun?“ für eine Pfarrkonferenz eingeplant. Heute möchte ich euch einladen, ein paar Steine umzudrehen, ein paar Gewissheiten zu hinterfragen. „Es spielt keine Rolle mehr, ob ihr Juden seid oder Griechen, Sklaven oder freie Menschen, Männer oder Frauen“, sagt Paulus. Dass es keine mehr Rolle mehr spielt, woher jemand kommt, soweit sind wir noch lange nicht. Und Paulus sagt weiter. „Denn durch eure Verbindung mit Christus Jesus seid ihr alle wie ein Mensch geworden.“ Damit ist das Ziel formuliert, das Ideal: Mensch werden. Um mehr geht es nicht.

Superintendent Steffen Riesenberg
steffen.riesenberg@ekvw.de