Stachel und Herz mit  Nenad Čupić  über Klassismus

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In unserer aktuellen Folge Stachel&Herz haben wir mit Nenad Čupić (https://nenadcupic.net/) über Klassismus gesprochen und Vieles gelernt, was wir euch hier zusammengefasst haben.

Was ist Klassismus?
Klassismus ist die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sozialen und ökonomischen Herkunft oder Position innerhalb der Gesellschaft. Klassismus wirkt subtil auf verschiedenen Ebenen – von der zwischenmenschlichen Interaktion bis zur strukturellen und medialen Reproduktion von Vorurteilen. Während Begriffe wie „Rassismus“ oder „Sexismus“ fest im öffentlichen Bewusstsein verankert sind, wird Klassismus noch oft übersehen oder falsch verstanden.

Klassismus und seine Auswirkungen
Klassismus prägt unser gesellschaftliches Miteinander tiefgreifend, doch die strukturellen Auswirkungen werden oft übersehen. Menschen aus einkommensschwachen Verhältnissen haben vielfach geringere Chancen, Bildung und berufliche Anerkennung zu erlangen – weniger aufgrund persönlicher Fähigkeiten, sondern weil gesellschaftliche Mechanismen sie systematisch benachteiligen. Die fest verankerten Vorurteile, dass Armut mit Faulheit oder Disziplinlosigkeit einhergeht, führen dazu, dass einkommensschwache Menschen oft in einem Abwärtsstrudel aus geringer Wertschätzung und fehlenden Ressourcen festgehalten werden. Indem wir diese Vorurteile weiter pflegen, tragen wir zu einer Spaltung bei, die weit über ökonomische Grenzen hinausgeht und das soziale Gefüge schwächt.

Mediale Darstellung und Klassismus
Die Medien spielen eine entscheidende Rolle dabei, wie gesellschaftliche Schichten wahrgenommen werden. Scripted-Reality-Formate wie Frauentausch oder Raus aus den Schulden zeigen einkommensschwache Familien oft als faul oder ungebildet und reproduzieren negative Stereotype. Gleichzeitig porträtieren die Medien wohlhabende Menschen wie Popstars oder CEOs als Vorbilder, während die wirklich extrem Wohlhabenden – die die gesellschaftliche Schere zwischen Arm und Reich prägen – oft unsichtbar bleiben. Die „Realität“, die in den Medien gezeigt wird, trägt dazu bei, dass Armut mit Versagen und Reichtum mit Erfolg assoziiert wird.

Klassismus in Bildung und Gesundheitswesen
Bildungschancen und Gesundheitsversorgung sind stark an die soziale Herkunft gekoppelt. Eine Studie zeigt etwa, dass Männer aus einkommensschwachen Familien eine 14 Jahre kürzere Lebenserwartung haben als Männer mit wohlhabenden Hintergründen  – bedingt durch ungesunde Arbeitsumfelder, eingeschränkte Gesundheitsversorgung und Zugang zu schlechterer Wohnqualität. Bildungschancen sind ebenfalls oft von der Klasse abhängig: Kinder, die in Stadtteilen mit niedrigerem Einkommen aufwachsen, haben meist weniger Zugang zu höherer Bildung und im Gesundheitssystem, was den Kreislauf der Armut verstärkt.

Das Problem der Unsichtbarkeit
Ein weiterer Aspekt des Klassismus ist die Unsichtbarkeit und Scham, die ihn umgeben. Menschen aus weniger privilegierten Verhältnissen haben oft nicht die Chance, ihre Perspektiven und Erfahrungen zu teilen. Klassismus ist eng mit der Idee von Scham verbunden, die Menschen aus ärmeren Schichten hindert, ihre Herausforderungen zu benennen oder zu hinterfragen. Gleichzeitig geben sich viele wohlhabende Menschen als „Mittelschicht“ aus, auch wenn sie ein Vielfaches des Durchschnittseinkommens verdienen. Diese Verzerrung verstärkt das Missverständnis, dass Klassismus weniger relevant sei als andere Diskriminierungsformen.

Klassenmigrant*innen: Der soziale Aufstieg und die ständige Entfremdung

Ein Beispiel für die Wirkung von Klassismus sind sogenannte Klassenmigrant*innen – Menschen, die durch Bildung oder Berufserfolg in eine höhere soziale Schicht aufsteigen. Die Worte „höher“ und „aufsteigen“ werden oft benutzt in dem Zusammenhang, sind aber problematisch, da diese Sprache beinhaltet, dass es das erstrebenswerte Ziel aller sein muss, in höhere Klassen zu kommen. Migration ist in dem Zusammenhang hierarchieärmer. Der Weg sogenannten Klassenmigrant*innen ist oft geprägt von Spannungen und Konflikten zwischen ihrer Herkunft und den neuen sozialen Kreisen, in die sie eintreten. Obwohl sie sich äußerlich anpassen, fühlen sich viele Klassenmigrant*innen oft nicht wirklich zugehörig und empfinden das Bedürfnis, sich ständig zu beweisen oder anzupassen. Diese Unsicherheiten zeigen, wie tief klassistische Denkmuster in unserer Gesellschaft verankert sind, und wie diese innerlich als „verinnerlichte Unterdrückung“ wirken.

Was können wir tun?
Um Klassismus wirklich zu bekämpfen, müssen wir uns bewusst werden, wie tief er in unserer Gesellschaft verwurzelt ist. Ein wichtiger Schritt besteht darin, die schädlichen Mythen um Leistung und Verdienst zu durchbrechen und zu erkennen, dass das soziale Umfeld und die Herkunft entscheidende Faktoren für die Entwicklung von Chancen und Erfolg sind. Darüber hinaus sollten wir reflektieren, wie wir über Armut und Reichtum sprechen und wie Medien unsere Wahrnehmung dieser Themen prägen.

Fazit: Ein Bewusstsein für Klassismus schaffen
Ein positives Menschenbild zu fördern und Klassismus in all seinen Facetten sichtbar zu machen, ist der Schlüssel zu einer gerechteren Gesellschaft. Indem wir lernen, unsere Vorurteile zu hinterfragen und ein stärkeres Bewusstsein für die strukturellen Probleme zu entwickeln, die Menschen benachteiligen, können wir gesellschaftliche Barrieren abbauen und mehr Chancengleichheit schaffen. Nur so wird eine Gesellschaft möglich, in der alle unabhängig von ihrer Herkunft eine faire Chance haben.

Wir hoffen, ihr habt genauso viel gelernt von Nenad, wie wir!

Thea&Sarah

Unsere Shownotes und Linkes für euch:

Shownotes: